christian megert – neue objekte

Konzept für die eröffnungsrede von raimund stecker

Lieber Christian Megert,
liebe Christine Hölz,
verehrte Damen und Herren,
liebe Kunstliebende!

Kunst kann und soll gefallen – aber: Kunst kann noch viel mehr!

Kunst kann Erfahrungen vermitteln –

Erfahrungen,die man woanders,
die man andernorts,
die man anders geFORMt oder anders FORMuliert,
die man außerhalb der Kunst eben NICHT machen kann.

Willkommen in der Ausstellung –
Hier werden Sie Teil der Kunst – Teil der Kunst von Christian Megert.

Denn: Christian Megert nennt seine Werke „Objekte“ – weil …?

Ja,
weil ein Werk ist etwas hermetisches
etwas geschlossenes,
etwas umschlossenes,
etwas verschlossenes,
etwas bergendes
etwas …
Es ist etwas, in das der Künstler eben etwas hinein gegeben hat,
etwas, das nun geborgen und umschlossen darauf wartet,
entborgen zu werden,
aufgeschlossen zu werden,
entdeckt zu werden!!!

Wie in einem Roman gilt es bei dieser beschriebenen Form der Kunst darum, herauszufinden,
was der Künstler einem Autor gleich IN sein Werk gegeben hat.

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Aber, es gibt nicht nur Romane,
es gibt eben auch Gedichte.

Und da verhält es sich anders.

Ein Dichter kann NEBEL schreiben und LEBEN meinen und vice versa –

So Maurice Bejart in seiner Faust-Inszenierung in 70er Jahren
des vergangenen Jahrhunderts in Brüssel

Ein Dichter kann „schtzngrmm“ schreiben, um auch den von vokalschönen Klängen freien Krach im Schützengraben Aufhören zu lassen –

So Ernst Jandl in seinem berühmten Lautgedicht

Und, ein Dichter kann „schweigen“ nicht schreiben um Schweigen, um gleichsam schweigendes Schweigen, zu erwirken –

So Eugen Gommringer

Ein Dichter stellt seine Leser so verstanden auf ihre je eigenen Füße, während ein Romancier versucht, seine Leser auf seine Fährte zu bringen.

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Ideologen der Kunst haben für dieses „Je-Andere“ Kluften ausgehoben, haben Mauern hoch gezogen und haben sich gegenseitig Feindschaften erklären lassen.

Die Folge ist ein unsägliches Denken in Mode- und Trendkategorien, das den Kunstbetrieb infiziert hat, obwohl die Kunst diesen Simpelalltäglichkeiten eigentlich abhold sein kann.

Denn: dieses Denken ist zwar plakativ kommunizierbar, aber blind.

Jede Denkform kann ohne Probleme für sich bestehen. Jede hat eine für sich unhinterfragbare Existenzberechtigung –

Highheels und Turnschuhe bilden keinen Widerspruch in sich, sondern sind lediglich Schuhe für je grundverschiedene Anlässe.

Ich hoffe, wir alle haben diese ideologischen Trennungen überwunden.

Wir können heute die Kunst von Christan Megert genauso schätzen, akzeptieren, goutieren und lieben wie die von Markus Lüpertz!

Denn die Differenzen sind zwar FUNDAMENTAL, nicht aber QUALITATIV – Sie sind KATEGORIAL, schließen sich aber nicht gegenseitig aus:

In der einen KunstFORM wird uns vermittelt,

was ein Künstler erfahren hat und uns mitteilen möchte!

In der anderen wird uns zu erfahren gegeben, wird unserer Erfahrung überantwortet,

was der Künstler uns erfahren lassen möchte!

Wir kennen viele Bilder, die uns zeigen, wie ein Maler gesehen und was er dann gemalt hat, während beziehungsweise nachdem er in den Spiegel geschaut hat.

Wir denken an Darstellungen des Narziss, an Jan van Eyck „Arnolfinis“ oder Robert Campins Porträt im Ring.

Christian Megert gibt UNS zu sehen, was WIR sehen, wenn WIR in den Spiegel schauen!

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Es gibt eine wunderbare Karikatur – Karikatur!!! - des großen us-amerikanischen Malers Ad Reinhard:

Ein abstraktes Bild hängt an der Wand. Ein Simpel, ein arrogant vor es tretender Betrachter fragt es quasi lächerlich lächelnd ansprechend:

HA HA WHAT DOES THIS REPRESENT?

Die nahezu identische Szene wird nun gedreht.

Das abstrakte Bild erhält Füße und einzelne Grapheme gerieren sich zu einem Gesicht und zum weisenden Arm. Das Bild wird aktiv. Es fragt den auf es zutretenden Betrachter:

WHAT DO YOU REPRESENT?

Wer Bildbetrachter fällt geschockt hintüber.

Christian Megert überhöht diese Rückfrage noch einmal.

Eulenspiegelhaft lässt er nicht nur den Betrachter permanent in den Spiegel schauen, sondern gibt ihm auch noch die Chance - spielerisch anonymisiert dem Objekt begegnend - quasi nicht verschämt (unverschämt) sein Spiegelbild zu suchen und so unaufhörlich – nie aufhörend! – sich selbst im Spiegel zu sehen, also zu spiegeln.

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Christian Megerts Wurzeln künstlerischen Denkens gründen in den späten 50er und frühen 60er Jahren des vergangen Jahrhunderts. Die Befreiung von der Erzählung, vom Inhalt, vom Narrativen ist ihm konstitutionell.

Das künstlerische Tun münden zu lassen in ein Gemachtes – in ein OBJEKT – das den Betrachter auf seine eigenen Füße stellt, ist fundamental.

So geben uns Christian Megerts OBJEKTE nicht zu erfahren und so zu erkennen,

WIE Bewegung wirkt
WIE Licht wirkt und WAS Licht bewirkt
WIE Feuer wirkt und WAS Feuer bewirkt
und auch nicht nur
WIE Spiegel wirken…

Christian Megert gibt uns zu erfahren und zu erkennen
WAS Spiegel bewirken!

WIR stehen vor seinen OBJEKTEN und sind angesichts unseres eigenen Angesichts als Spiegelbild auf uns selbst zurück geworfen.

WIR sehen zwar auch noch, WIE Spiegel spiegeln, aber vor allem sehen wir: WAS Spiegel spiegeln – nämlich uns selbst.

Christian Megert ist so gesehen der Sigmund Freud unter den ZERO-Künstlern:

Er legt uns zwar nicht auf die Couch, aber er stellt uns auf unsere Füße.

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Gleichwohl – Christian Megert zeigt uns auch etwas.

Und der Film von Werner Raeune - den ich Ihnen allen dringlichst empfehle sich anzuschauen - gibt dies wunderbar zu sehen.

Doch das, was er uns zeigen möchte, gibt er uns „nur“ zu erfahren,
weil darüber quasi nicht zu erzählen ist,
weil unsere Sprache, die ja für gewöhnlich immer „nur“ nach und nicht vor den Erfahrungen residiert,
noch keine Worte dafür hat.

Wir wissen aus dem Kubismus und auch durch die „Strukturalen Konstellationen“ von Josef Albers, dass im Zweidimensionalen eine komplexere Räumlichkeit zum Aufscheinen kommen kann, als sie im real Dreidimensionalen zu erreichen ist.

Und auch in der Literatur können wir in Räume entführt werden, die wir nie werden betreten können.

Und in der Mathematik gibt es dann sogar konstruiert offene, x-dimensionale Vektorräume, die sich ebenfalls einer simpel-visuellen Darstellbarkeit verweigern. Es sind quasi theoretische Räume.

Christian Megert sucht offenbar die visuelle Erfahrbarkeit quasi „nur“ denkbarer Räume.

Was sehe ich, wenn ich links und rechts, vorne und hinten und oben und unten von Spiegeln umgeben bin? Christian Megert gibt es uns zu erfahren!

(Ich frage mich übrigens seither, was sehe ich, wenn ich in der Mitte einer verspiegelten Kugel bin?)

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Kommen wir zur Ausstellung hier zurück.

Treten Sie vor eines der OBJEKTE – und übertreffen Sie diese Erfahrung noch dadurch, dass Sie vor ein OBJEKT treten, das einem anderen gegenüber hängt und neben denen jeweilig auch noch eines sich befindet.

Sie sehen die Facettierung des Raumes in dem Sie sich befinden und Sie sehen die Facettierung ihrer selbst in diesem Raum in FORM ihres zersplitterten Spiegelbildes in einem diskontinuierlichen Raum – und zwar von vorne, von hinten, von oben und von unten und von verschiedenen Seiten……

Sie erfahren eine Komplexität von Raum, die Sie zuvor so nicht kannten dann, wenn Sie gedanklich – theoretisch wie in der Mathematik – versuchen, die vielschichtig zu sehende Räumlichkeit in eine zu BILDen.

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EIN NEUER RAUM – so der Titel des Film von Werner Raeune – tut sich auf.

NEUE RÄUME!

Sie erfahren Räume, die Sie nur vor den Objekten Christian Megerts erfahren können.

Kommen wir zum Ende meiner kursorischen Überlegungen:

Christian Megert ist als Künstler ein Dichter – er verdichtet, um uns diese Dichte offen zu vergegenwärtigen.

Christian Megert macht uns zum notwendigen Teil seiner Kunst.

Christian Megert gibt uns zu erfahren, was wir ohne seine Objekte so nie erfahren würden.

Christian Megert öffnet uns durch seine NEUEN OBJEKTE NEUE RÄUME.

Christan Megert überantwortet uns unsselbst.

Christian Megert, der Sigmund Freud unter den ZERO-Künstlern, stellt uns auf unsere Füße …

Christine Hölz, haben Sie Dank dafür, dass Sie uns diese Sitzungen in Ihren wunderschönen Galerieräumen ermöglichen!